Meppen / Groningen – September 2018
„Über unserem Niveau ist eine Kellerwohnung freigeworden“, hätte der berühmteste Berliner Kabarettist der Nachkriegszeit, Wolfgang Neuss, über die Reise der Berliner Löwen Richtung Emsland / Holland Anfang der Saison 18/19 gesagt. Denn tatsächlich ist es schwer, aus Berlin kommend (34m über Null) tiefer liegende Ziele anzusteuern, doch in der Kombi aus Meppen (14m ü.N.) und Groningen (7m ü.N.) gelang dies nicht nur geographisch. Nein, auch sportlich führte diese Fahrt in ungeahnte Tiefen, sahen wir in bloß zwei Spielen doch immerhin drei Tabellenletzte: Den SV Meppen (Letzter der dritten Liga beim Anpfiff), den wunderbaren BTSV (Letzter der dritten Liga beim Abpfiff), und den FC Groningen (Letzter der Eredivisie).
Neben den Berliner Löwen UwF, WiG, ChB und mir bestiegen auch die Herthaner DaR und BaN, die wir auf früheren Reisen bereits in unser Herz schlossen, den Niveau-Intercity Richtung Westen. Sie berichteten uns von Herthas Freitagsspiel, bei dem ein Gegner namens FC Bayern geschlagen wurde. Anschließend schliefen sie ihren Rausch aus, bis der Zug das Land der Sümpfe und der Hühnerställe erreichte. Und wir fragten uns: Was ist das, diese Bundesliga? Was ist das, dieser FC Bayern? Und was ist dieses Gewinnen, von dem die beiden uns berichteten?
Stunden später machten wir es uns auf der Meppener Retro-Nineties-Tribüne bequem. Sehr schönes Moorbrand-Intro der Braunschweiger Ultras, doch mit dem Anpfiff war für uns der Spaß vorbei. Torwart Engelhardt patscht eine Ecke zum Gegner, Innenverteidiger Burmeister spielt mit kurzem Rückpass einen Gegner frei – schon nach einer Stunde stand es 4:0. Die einzigen Braunschweiger, die sich bewegten, waren die, die die blau-gelben Fahnen vom Zaun abhängten. Wenn nichts Außergewöhnliches passiert, stehen wir bereits im März als Absteiger in die Regionalliga fest.
In der Nachspielzeit, als Meppen netterweise längst den Schongang eingelegt hatte, machte Fejzullahu – dem irgendwer zu Saisonbeginn das Eintracht-Trikot mit der Nummer 10 gegeben hatte – tatsächlich noch zwei Glückstore. „Der hat neulich im Pokal schon gegen euch getroffen“, erinnerten wir die mitgereisten Herthaner, die in diesen beiden Spielen mit Eintracht vermutlich sämtliche drei Tore seiner Profikarriere sahen – denn Fejzullahu ist inzwischen völlig aus dem Kader gestrichen. „Will Hertha den nicht kaufen, vielleicht für eine Million? Dann gewinnt ihr in Zukunft noch deutlicher gegen die Bayern!“
Nach einer Retro-Eighties-Nacht – mit Abendessen beim Griechen und Frühstückskaffee aus der Pumpkanne – zuckelten wir per Regionalexpress und Schienenersatzverkehr über die grüne Grenze Richtung Groningen. In der streng protestantischen Großstadt suchten wir das einzige Lokal zwischen Bahnhof und Stadion auf, das schon am Sonntag Vormittag Gäste empfängt. Konnte man draußen angenehm warm in der spätsommerlichen Sonne sitzen? Ja! Wurden die Gläser Amstel schnell serviert, begleitet von einer Schale Nüsse auf das Haus? Jepp! Saß man idyllisch am Kanal mit Blick auf die Backsteinbauten der Innenstadt? Jawoll! Trotzdem waren wir dort die einzigen Gäste – und das bis eine dreiviertel Stunde vor dem Anpfiff!
Nachdem wir mit dem letzten Amstel zu Ehren des abwesenden UwD angestoßen hatten – der am gleichen Tag mit der goldenen Ehrennadel des TVB Schöningen ausgezeichnet wurde – zogen wir zu Fuß weiter und erwarben unsere Eintrittskarten in einem würfelförmigen Gebäude mit gläsernen Fassaden. Der freundliche Ticketverkäufer erklärte uns bei sechs Karten sechs mal, dass mit dem Erwerb eines Sitzplatzes im Bereich der Groningen-Fans kein Anspruch auf genau diesen Sitz besteht, und dass andere Zuschauer dort stehen könnten. „Und wo geht’s jetzt zum Stadion?“, fragte anschließend UwF. Nun ja, wir waren bereits am Ziel. Diese würfelförmigen, modernen All-Seater sind oft erst auf den zweiten Blick als Fußballtempel zu erkennen.
Sportlich und stimmungsmäßig wusste die Veranstaltung zu gefallen. Sowohl Groningen als auch der Gegner, der FC Utrecht, suchten ihr Glück im Angriff, und es gab kaum Spielunterbrechungen. Alles wirkte ziemlich britisch, denn auch die Gesänge / Schmähungen der Heimfans waren unmittelbare Reaktionen auf das Geschehen auf dem Rasen. Sechzig Minuten geduldigen Dauersupport trotz Grottenleistung, wie am Vortag im Gästeblock in Meppen, hätte es in Groningen wohl kaum gegeben.
Wie es sich für die Nation der Käse- und Blumenverkäufer gehört, boten sich in und an der Groninger Arena lobenswerte Einkaufsmöglichkeiten: beim Schlange stehen für Bier und lecker Pommes hatte man einen sehr guten Blick aufs Spielfeld, und der Jumbo-Supermarkt direkt hinter dem Heimblock bot als fanfreundliches Sonderangebot den 24er Heineken für 9€ – sogar gekühlt!
So konnte kästenweise Proviant für die lange Heimfahrt gesichert werden, bei der im typischen Sonntagabend Bahnchaos Anschlüsse in Bremen und Hamburg verpasst wurden oder worden wären. Wenigstens für die bei uns im Waggon Mitreisenden gab es gute Nachrichten: Erstens konnten sie sich an unseren gesanglichen Darbietungen erfreuen, und zweitens wussten sie anschließend warum Bremer stinken, was auf der Leine schwimmt, und wen Anthony Modeste vom Podest schubst. Mit halbstündiger Verspätung in Hannoi angekommen, erwischten wir sogar noch den ICE zum Ostbahnhof, der anderthalb Stunden Verspätung hatte!
Und so fuhren wir wieder bergauf, Richtung Berlin (34m über Null). Und wenn wir eines Tages (also im April 2019) wieder nach Holland runterfahren, dann lösen wir das Pfand für den Heineken-Kasten ein, den wir leer in Leer zurückließen, und lassen es mit dem Geld in Rotterdam und Amsterdam so richtig krachen!