Nizza / Monaco / Marseille – Oktober 2017
In welcher Region könnte der Feiersommer zum 50. Jubiläum der Deutschen Meisterschaft unserer Eintracht einen würdigen Abschluss finden? Natürlich dort, wo sich in den Jahren um 1967 die Schönen und die Reichen, die Adeligen und die Filmstars vergnügten! Also traf sich unsere Reisegruppe in elfköpfiger Mannschaftsstärke, neun Blau-Gelbe (AnS [w], AnS[m], BeF, FlP, HoK, UlS, UwD, WiG sr., Wig jr.) plus zwei Berliner Blau-Weiße (DaR, MaN) am Freitag Nachmittag am Flughafen Tegel. Adieu, herbstlich graues Berlin! Bonjour, sonnig warme Cote d’Azur!
Nach unserem Willkommensabend in Nizzas Altstadt stellten wir am Samstag Vormittag fest, dass man in Südfrankreich für das gleiche Geld, das man für ein Glas Bier im Bistro zahlt, per Zug an jeden Ort der Küste fahren kann. Eine halbe Stunde später stiegen wir am Bahnhof in Monaco aus, wo wir auf den weit gereisten aber kleinen Auswärtsmob des SM Caen trafen. Die waren die ganze Nacht unterwegs gewesen – mit Umstiegen in Paris, Lyon und Marseille – und hatten ihre nordfranzösische Heimat ungefähr zur selben Stunde verlassen, als wir zu Hause in den Flieger stiegen. Respekt!
Nach steilem Abstieg überquerten wir an der Uferpromenade die Formel-1-Strecke. Nein, dieser steile Abstieg wird mit Sicherheit kein Omen für Eintrachts weiteren Saisonverlauf 17/18 sein! Nicht nur im Hafen fiel uns sofort das große Wohlstandsgefälle zwischen Berlin und Monaco auf: „Guckt mal, wie arm die Leute hier sind – die können sich offenbar noch nicht mal eine Wohnung leisten. Sonst müssten sie ja nicht auf einem Boot wohnen!“ Okay, das Boot war 40 Meter lang, hatte Sonnendecks über drei Etagen, mit weiß uniformiertem Servicepersonal.
Bei einer Runde „Rate die Steueroase“, bei der die Flagge am hinteren Mast identifiziert werden musste, waren wir in Gedanken wieder bei den Zugfahrern aus Caen: Hätten die Yachten, die unter der Flagge von Guernsey oder Jersey unterwegs sind, die Ultras aus der Normandie nicht einfach mitnehmen können? Die kommen doch aus der gleichen Ecke!
Als unserem Münzenfuchs WiG auffiel, dass ein Kiosk monegassische Euro-Münzen als Wechselgeld rausgibt, pumpten wir prompt ein paar Geldscheine Kaufkraft in die lokale Wirtschaft. Und großkotzig, wie es sich für nervige Touristen gehört, protzten wir mit unseren frisch erworbenen Statussymbolen: „Schaut her, wir haben so viel Kohle, dass wir uns schon Mittags eine Dose französisches Bier leisten können!“, riefen wir den verarmten Einheimischen in ihren Louis Vuitton-Lumpen zu.
Plötzlich, um 13:07 Uhr, rappelten fast alle Handys. Tor für die göttliche Eintracht durch Özkan Yildirim! Durch Eintrachts diesjährigen Königstransfer, der neben Erfolg auch Spielkultur im offensiven Mittelfeld garantiert. An Yildirim werden wir noch ganz viel Freude haben! Bis zum Abpfiff blieb es gegen Bochum beim 1:0 – übrigens auch ein typisches Ergebnis unserer Meistermannschaft von vor 50 Jahren, als in 14 Ligaspielen des BTSV maximal ein Tor fiel. Ein gutes Omen für den Rest der Saison! Nur noch sieben Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz, also wurde eifrig gefachsimpelt, ob man im Mai 2018 erneut zwei Aufstiegsspiele gegen Golfsburg oder zur Abwechslung mal gegen den HSV bestreiten würde.
Nach unserem Mittags-Snack auf Höhe der Ziellinie des Formel-1-Kurses brachen wir rechtzeitig auf Richtung Stadion, musste mit vollem Bauch doch eine Bergkette zur benachbarten Bucht überquert werden. Doch zu unserer Überraschung standen wir an einer Felswand plötzlich vor einer Fahrstuhltür. Sanft glitt der Fahrstuhl ein paar Meter hinab, und anschließend wandelten wir unter der Bergkette hindurch, entlang marmorverkleideter Einkaufspassagen. Doch auch beim Anblick der Geschäfte packte uns sofort das Mitleid mit den Einheimischen: Nirgendwo ein kik oder ein Pfennigland, weil deren Produkte für Monegassen offenbar zu teuer sind. Stattdessen überall Boutiquen mit Handtaschen oder Jäckchen, alle ohne Preisschild. „Da legt man bestimmt alle Einkäufe auf die Waage, und zahlt dann acht Euro pro Kilogramm. Genauso wie im Oxfam-Shop bei mir um die Ecke!“
Am Stade Louis II angekommen wurden Karten gekauft – ein echter Zeitfresser, da elf verschiedene Namen für elf personalisierte Tickets eingetippt werden mussten. Wir setzten uns neben den Block der paar hundert Monaco-Ultras (Gruppo Gucci? Fratelli Ferrari? Burberry Brothers?). In der gegenüberliegenden Kurve verspielten die Caen-Fans unsere Sympathien, als sie ihr Gruppenbanner entrollten, auf dem eine Zahl zwischen 95 und 97 ins Auge stach. Relativ leidenschaftslos – wie die meisten anderen der paar Tausend im Stadion – verfolgten wir einen unspektakulären 2:0-Heimsieg. „Um so viel Stimmung zu erleben, hätte ich eigentlich bei der BSG Volkswagen bleiben können“, wird sich Monacos Ersatztorwart Benaglio auf der Bank gedacht haben.
Doch es gibt auch Lobenswertes über den AS Monaco zu berichten. Erstens: die Pausensnacks. Pissaladière klingt wie ein Bier aus Leinewasser, ist aber eine leckere Pizza aus Kichererbsenmehl mit Olivenaufstrich. Zweitens: das Stadion. Traumhafte Lage und in der Bauweise als 80er-Jahre-Stadion völlig unverwechselbar. In Europa wurden in dem Jahrzehnt nur ganz wenige Stadien gebaut. Selbst zur EM 1984 in Frankreich entstand nur ein einziger Ground neu, nämlich der in Nantes.
Nächster Tag, nächstes Spiel. Nach einem spätsommerlichen Sonntagsspaziergang durch das sehr schöne Nizza fuhr die Gruppe zu einer der zahlreichen Arenen, die für die EM 2016 in Frankreich aus dem Boden gestampft wurden. Die Herthaner knüpften schnell Kontakt zu ihren Fanfreunden von Racing Strasbourg, die an dem Tag zu Gast waren bei ‚Les Aigles‘, den Adlern vom OGC Nizza. Kurz vor Anpfiff kam sogar ein leibhaftiger Adler ins Stadion geflogen, wie vor jedem Heimspiel. „Wär mein Ex-Verein mal auf so eine hübsche Idee gekommen“, könnte Nizzas Dante sich gedacht haben. „Ein echter VW Golf, der vor dem Anstoß ein paar Runden auf den Rasen dreht!“
Beim OGC musste Trainer Favre an dem Tag leider auf Mittelstürmer Balotelli verzichten, der sich eine Zerrung geholt hatte, vermutlich beim Selfie-Teilen oder beim Quad-Fahren im eigenen Garten. An seiner Stelle ackerte im Sturmzentrum ein uns unbekannter Spieler namens Plea. Am Ende kassierte der Vorjahresdritte gegen den Tabellenvorletzten aus dem Elsass eine überraschende 1:2-Heimniederlage. „Nizza fehlt ein torgefährlicher Zehner, der vorne richtig Spielkultur reinbringt“, waren sich die Berliner Beobachter anschließend einig. „So einer wie Özkan Yildirim!“
Eine Mietwagenbesatzung machte sich nach Abpfiff auf die Autobahn Richtung Marseille, zum abendlichen Knallerspiel des Spieltags, OM – PSG. Reguläre Preise von 75€ bis 800€, alle Tickets innerhalb von Minuten ausverkauft. Mit ordentlich Rückenwind – im Oktober kann es am Mittelmeer sehr stürmisch werden – erreichten wir halbwegs pünktlich ein 24-Stunden-Parkhaus im Hafen von Marseille. Hafen, Marseille, wer denkt da zur Abendbrotzeit nicht an Bouillabaisse oder andere maritime Delikatessen? „Ich habe Hunger“, verkündete BeF. „Ich geh jetzt da drüben zu McDonald’s!“
Per U-Bahn erreichten wir leicht verspätet das Stade Vélodrome, aus dem bereits wolkenweise Rauch aufstieg. Das Stadion ist optisch der Hammer, und die Stimmung bei Heimspielen von Olympique ist phänomenal. Nicht nur aus den beiden Hintertorblöcken gab es sehr laut Support, selbst auf Haupt- und Gegentribüne brannten nach Marseilles Führungstreffern die Bengalos. Leider kann in Frankreich der örtliche Polizeipräfekt Gästefans – „aus Sicherheitsgründen“ – komplett von einem Spiel ausschließen. Begann der Polizeipräfekt von Marseille vielleicht seine Karriere als Gendarm in St.Tropez? „Da wollen Fans von St.Germain einfach in unsere Stadt kommen.“ – „Nein!“ – „Doch!“ – „Oohhh!“
Nicht verbieten konnte die örtliche Polizei die Angriffsreihe von PSG: Cavani, der mit einem Hammer von Freistoß in der Nachspielzeit Paris noch ein 2:2 bescherte. Mbappé, der an dem Abend ein wenig unterging, angeblich aber ganz gut kicken kann. Neymar, der von den Einheimischen mit Kurvenmutti Christel verwechselt wurde, so dass bei jedem Eckball reichlich Pfandbecher in seine Richtung geflogen kamen. Nachdem er kurz vor Schluss für einen leichten Schubser Rot sah, hatte Neymar dann die Wahl, ob er vorzeitig duschen geht oder schnell sein Geld an der Pfandrückgabe abholt, bevor sich dort nach Abpfiff eine Schlange bildet.
„In welcher Stadionkneipe sich wohl OM’s Stadionverbotler die Heimspiele angucken?“ fragten wir uns beim Verlassen des Stadions. Prompt passierten wir das Stadionbrauhaus, die Brasserie du Stade: Dort serviert man auch Langusten, Schnecken und Austern. „Ich seh da jetzt keinen wesentlichen Unterschied zum Angebot im Casino-Club oder im Spektrum“, waren wir uns einig.
Zusammenfassend stellten wir jedoch fest, dass sich Einiges geändert hat in den 50 Jahren seit Eintrachts Meistertitel: Damals zogen Gastarbeiter aus dem Mittelmeerraum in den Norden, um bei Bahlsen Backförmchen in den Keksteig zu drücken oder im Schatten der vier Schornsteine Schrauben zu schrauben. Inzwischen hat sich der Strom der Arbeitsmigration längst umgekehrt: mit Benaglio, Dante, Saint Maximin, Luiz Gustavo, Sakai und Draxler sahen wir an dem Wochenende sechs Spieler, denen man aufrichtig gratulieren kann – dazu, dass sie das graue Elend an Leine und Mittellandkanal endgültig verließen, um heute ihr Geld im schönen und lebenswerten Frankreich zu verdienen!
Der Rest der Reisegruppe hat nach dem Spiel noch einen kleinen Abendspaziergang durch Nizza gemacht. Danach ging es mit ein paar kühlen Bieren in die Lobby von unserem Hotel, welche später sogar noch mit blauen und gelben Beuteln für uns dekoriert wurde.
Am nächsten Tag ging es dann noch bei schönstem Wetter an den Strand. Dort haben wir uns noch etwas gebräunt und einer ist sogar schwimmen gegangen. Da er kein eigenes Handtuch dabei hatte, musste sich der Herthaner DaR mit einem Handtuch vom BTSV abtrocknen. Beide haben keinen Schaden genommen. Nach einem gemeinsamen Abschlußessen und Bierchen haben wir uns von UlS und AnS(w) verabschiedet, da sie noch ein paar Tage länger an der Cote d’Azur blieben. Dann ging es zum Flieger und ein wunderbares Wochenende ging zu Ende